Mega-Waldbrand – oder etwa doch nicht?
Die aktuelle Berichterstattung zum Waldbrand in Hirschwang an der Rax (Niederösterreich) spart nicht an Superlativen: „Der größte Waldbrand jemals in Österreich“ – „Wald komplett vernichtet“ – „Funkenflug über 100m“ sind nur einige der Aussagen, die in den letzten Tagen die Runde gemacht haben. Dieser Beitrag ist ein kritisches Statement dazu (ohne die hervorragende Arbeit der Freiwilligen Feuerwehren kleinreden zu wollen) und führt außerdem an, weshalb der aktuelle Waldbrand auch positive Effekte hat.
Waldbrand Lurnfeld, Kärnten, 2015. Im Fichten-Hochwald trat verbreitet Kronenfeuer auf und führte zum Absterben zahlreicher Bäume. | Foto © Andreas Pucher
Beginnen wir mit der wohl prominentesten Aussage, die sich hartnäckig in den Medien hält: Handelt es sich tatsächlich um den größten Waldbrand in der Geschichte Österreichs? Dies kann klar verneint werden. Nach den aktuellsten Daten zum Brand in Hirschwang dürfte die tatsächlich vom Feuer betroffene Fläche etwa 80 Hektar betragen. Vergleichbar große Waldbrände gab es zuletzt 2015 in Lurnfeld (Kärnten) mit ebenfalls 80ha sowie 2014 bei Absam (Tirol) mit 100ha. In beiden Fällen war die Brandintensität aber höher, Kronenfeuer hat zum verbreiteten Absterben von Bäumen geführt.
Geht man weiter zurück, finden sich in Österreich noch größere Waldbrände: So brannten 1961 im Neunkirchner Föhrenwald 120ha, in den 1940er Jahren gab es einige Waldbrände deutlich über 100ha. Brände mit mehr als 500ha sind im 19. Jahrhundert verzeichnet worden. Der flächengrößte Waldbrand in der österreichischen Waldbrand-Datenbank (https://fire.boku.ac.at) ist für das Jahr 1705 dokumentiert – mehr als 5000ha (fünfzig Quadratkilometer) sollen damals im Inntal, Tirol, von dem Feuer zerstört oder geschädigt worden sein, womöglich waren es sogar 10.000 (!) ha.
Aber selbst 5000ha sind nur Peanuts im Vergleich zu Großbränden aus anderen Ländern – Zehnttausende Hektar verbrennen regelmäßig bei einzelnen Wald- und Buschbränden in Südeuropa, den USA, Australien, Sibirien oder dem Amazonasgebiet. Anders ausgedrückt: Ein Waldbrandforscher aus Kalifornien oder Australien würde über unsere „100-Hektar-Megafeuer“ nur mild belustigt die Mundwinkel verziehen.
Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass das alpine Gelände und die vielen Schutzwälder in Österreich die Brandbekämpfung erschweren und nachfolgende Naturgefahren wie Steinschlag, Lawinen, Muren oder Erosion zu weiteren Schäden und einer Gefährdung von Siedlungen und Infrastrukturen führen können. So mussten nach dem Großbrand bei Absam 2014 zahlreiche Maßnahmen ergriffen werden, um die Schutzwirkung des Waldes sicherzustellen. Ebenso gab es in der Vergangenheit Brandereignisse auf Steilhängen, bei denen durch großflächige Erosion nach dem Feuer heute nur noch blanker Fels zu finden ist – eine Wiederbewaldung ist dort, wenn überhaupt, erst in vielen Jahrzehnten zu erwarten.
Kingfire in Kalifornien, USA, 2014 | © U.S. Department of Agriculture CC BY 2.0 / flickr
Wie oben bereits angedeutet, ist die Brandintensität entscheidend für die Schäden am Waldbestand. Beim aktuellen Waldbrand in Hirschwang hat es sich überwiegend um ein Bodenfeuer geringer Intensität gehandelt, was bedeutet, dass in erster Linie die trockene Nadelstreu, Laub und Gras verbrannt sind. Speziell die Schwarzkiefer (welche hauptsächlich betroffen ist) kommt gut mit Bodenfeuern zurecht. Untersuchungen aus dem Föhrenwald in Neunkirchen haben gezeigt, dass Schwarzkiefern selbst dann noch eine hohe Überlebensrate aufweisen, wenn zwei Drittel der Krone bzw. der Nadeln versengt sind. Überdies ist ein verbrannter Oberboden zusammen mit den durch das Feuer mobilisierten Nährstoffen ideales Keimbett für die Samen der Schwarzkiefer.
Daneben sei erwähnt, dass der Waldbrand an den Hängen des Mittagsteins in Hirschwang einen weiteren positiven Effekt haben kann: Die seit Jahren oder gar Jahrzehnten angehäufte tote, brennbare Biomasse (vor allem Nadeln, Laub, Zweige und Äste) ist durch das Feuer verbrannt. Man mag provokant die Hypothese aufstellen, dass der aktuelle Waldbrand einem großflächigen kontrollierten Brennen („prescribed burning“) gleicht, wie es in anderen Ländern schon lange praktiziert wird. Damit ist in den kommenden Jahren in dem betroffenen Gebiet das Risiko eines Waldbrandes mit hoher Brandintensität – und größeren Schäden – deutlich reduziert.
Die Reduktion brennbarer Biomasse führt in den Folgejahren auch bei hoher meteorologischer Waldbrandgefahr zu einer geringeren Brandintensität. Hier zu sehen ist der Randbereich des Waldbrandes im April 2020 bei Saubersdorf, Neunkirchen (NÖ) | Foto © Mortimer M. Müller
Weiter unten auf der Brandfläche in Hirschwang dominiert ein Buchen-Mischwald. Buchen sind nicht so brandresistent wie Kiefern, weisen aber eine hohe Resilienz nach Waldbränden auf. So können etwa verbrannte Jungbuchen neu austreiben. Altbäume zeigen nach Bränden verstärkt Mastjahre, wodurch mehr Samen produziert und der verbrannte Jungwuchs rasch ersetzt werden kann. Auch für vom Feuer geschädigte Sträucher gilt, dass viele Arten über Seitentriebe oder Wurzelausläufer neu austreiben können.
Freilich muss bei der Resilienz und Widerstandsfähigkeit des Waldes die Witterung berücksichtigt werden. Würde nun ein trockener und warmer Spätherbst folgen, der Winter und das Frühjahr längere Dürreperioden bringen, können Bäume, die bereits durch die Nachwirkungen des Brandes unter Stress stehen, weiter geschädigt werden oder sogar absterben. In Summe kann aufgrund der derzeitigen Datenlage aber davon ausgegangen werden, dass der Schaden am Waldbestand in Hirschwang gering ausfallen wird.
Wie steht es nun um „neue Brände durch Funkenflug“? Selbstverständlich kann es bei Waldbränden massiven Funkenflug geben; aber fast ausschließlich bei Kronenfeuern. Aus anderen Ländern gibt es Fälle, bei denen brennendes Material durch Hitzekonvektion Hunderte Meter oder gar mehrere Kilometer weit transportiert worden ist und dort neue Feuer entfacht hat. Aus Österreich existieren Beispiele (etwa im April letzten Jahres im Neunkirchner Föhrenwald), bei denen im Zuge eines Kronenfeuers und in Verbindung mit kräftigem Wind Sekundärbrände einige Dutzend Meter vor der eigentlichen Feuerfront aufgetreten sind. Aus Österreich ist mir aber kein Fall bekannt, bei dem es während eines Bodenfeuers zu Funkenflug über eine nennenswerte Distanz gekommen wäre.
Gerade im steilen Gelände – wie in Hirschwang der Fall – spielen zwei andere Faktoren eine wesentliche Rolle: Starker, hangaufwärts gerichteter Wind führt durch den Düseneffekt und Hitzekonvektion zu einer raschen Brandausbreitung in Richtung Berggipfel. Noch entscheidender ist das Abstürzen/-rutschen brennender Baumteile oder glimmender Nadelkissen; vermutlich der Hauptgrund für die rasche Ausbreitung des Feuers zum Talboden hin. Ähnliche Beobachtungen gibt es auch von den Großbränden 2018 in Hallstatt, Oberösterreich, und 2015 in Lurnfeld, Kärnten.
Bei Kronenfeuern kann es in Verbindung mit Wind zu starkem Funkenflug und Sekundärbränden kommen. Hier das Rimfire in Kalifornien, USA, 2013 | © U.S. Department of Agriculture CC BY 2.0 / flickr
Aber jedenfalls hat am Brandtag eine hohe Waldbrandgefahr geherrscht – oder sollte man diese Aussage ebenfalls überdenken? Jein. Fakt ist: September und Oktober 2021 sind in Österreich nach einem feuchten August fast überall zu trocken verlaufen. Bei Betrachtung des ganzen Jahres herrscht in vielen Gebieten ein leichtes Niederschlagsdefizit. Gleichzeitig waren 2021 einige Monate deutlich zu kühl: Etwa der April, Mai und August. Der Oktober wird voraussichtlich durchschnittlich bilanzieren. Eine hohe kumulierte Waldbrandgefahr benötigt aus meteorologischer Sicht eine lange Trockenperiode, überdurchschnittliche Temperaturen und starken Wind.
Der kanadische Waldbrandindex FWI hat für den – verhältnismäßig kühlen – Brandtag (25.10) eine mäßige Waldbrandgefahr angezeigt. Das letzte relevante Regenereignis gab es in der Region am 13.10. Entscheidend war im aktuellen Fall in Hirschwang die Lage des Brandortes: Ein Südhang auf Karbonatgestein, offener Kiefernwald mit Grasunterwuchs – bei einem solchen Setting genügen auch im Herbst zwei, drei sonnige Tage, um die Gras-/Streudecke trocken genug für eine Entzündung werden zu lassen. In Verbindung mit dem kräftigen Wind erklärt sich die rasche Brandausbreitung. Im Gegensatz dazu sind nordseitig ausgerichtete Hänge deutlich feuchter, tiefere Lagen werden im Herbst durch Tau und Nebel benetzt und andere Waldgesellschaften weisen ebenfalls ein feuchteres Mikroklima auf.
Auch bei extremer Trockenheit und Hitze entsteht ein Waldbrand aber nicht einfach so. Es benötigt eine Zündquelle – und in den meisten Fällen ist hierfür direkt oder indirekt der Mensch verantwortlich. Beim Waldbrand in Hirschwang liegt die Vermutung nahe, dass eine achtlos weggeworfene Zigarette oder ein Lagerfeuer den Großbrand verursacht haben. Salopp formuliert war es ein „dummer Zufall“, dass die Zündquelle ausgerechnet an dieser brandgefährdeten Stelle ausgebracht worden ist.
Zuletzt darf auf einen weiteren positiven Effekt des aktuellen Waldbrandes nicht vergessen werden: Trotz der teilweisen Dramatisierung und Panikmache in den Medien, kann die intensive Berichterstattung auch als Methode der Bewusstseinsbildung gesehen werden. Der Bevölkerung wird deutlich vor Augen geführt, welche Folgen ein falsches Verhalten im Wald oder in Waldnähe haben kann – im Speziellen die Einbringung einer Zündquelle. Langfristig gesehen ist die Sensibilisierung für die Thematik Waldbrand eines der wichtigsten Elemente der Waldbrandprävention. Nur durch die Mitarbeit der Allgemeinheit können großflächige und intensive Waldbrände, wie sie durch den Klimawandel auch in Österreich wahrscheinlicher werden, verhindert werden.