Waldbrand Hirschwang/Rax – eine Nachbetrachtung
In den letzten Oktobertagen hat sich der Waldbrand bei Hirschwang weiter ausgebreitet – rund 100 Hektar dürften effektiv betroffen sein. Die Bekämpfung der Glutnester dauerte Tage, offizielles Brandaus wurde am 06. November gegeben. Die freiwilligen Mitglieder der Feuerwehren haben über einen langen Zeitraum Höchstleistungen vollbracht, nun können die getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen kritisch evaluiert werden, um Lehren für zukünftige Bekämpfungstechniken und ‑taktiken in Österreich zu ziehen.
Der letzte Beitrag zum Waldbrand in Hirschwang hat für einige Resonanz gesorgt. Nochmals soll hier die gemeinschaftliche Leistung, die bei diesem Großeinsatz beobachtet werden konnte, als bemerkens- und lobenswert hervorgehoben werden. Die Brandbekämpfung im steilen, rutschigen und felssturzgefährdeten Gelände ist mitunter lebensgefährlich. Umso mehr ist dafür zu sorgen, dass die angewendeten Techniken und Taktiken sowie die getroffenen Entscheidungen optimal auf das Brandgeschehen abgestimmt sind.
Brandfläche für den Waldbrand bei Hirschwang, wie sie vom europäischen Waldbrandinformationssystem EFFIS anhand von Satellitendaten abgeschätzt worden ist. Demnach sollen 72 Hektar (Stand 30.10.2021) vom Feuer betroffen gewesen sein. Neigungskorrigiert dürften es knapp 90ha sein | Karte © EFFIS
Ohne eine genaue Analyse vor Ort, ist eine Beurteilung schwierig, daher stellen die unten angeführten Punkte eine vorläufige Einschätzung dar und sollen vor allem Anregung für zukünftige Diskussionen sein.
WALDSCHNEISEN
Es wurde immer wieder berichtet, dass zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des Waldbrandes Schneisen in den Wald geschlagen bzw. Bäume in Streifen von etwa 15m Breite gefällt worden sind.
Speziell im Steilgelände ist das Anlegen von Waldschneisen mit Risiken verbunden. Eine vertikal verlaufende Schneise kann mittelfristig zu Erosion führen oder die Entwicklung von Steinschlagereignissen begünstigen. Ebenso kann der Bestand durch die Anlage der Schneisen destabilisiert werden, etwa durch Windwürfe im Randbereich. Daneben ist es möglich, dass ein Bodenfeuer auf Lücken bzw. Schneisen durch die Sonneneinstrahlung und den stärkeren Windeinfluss sogar angefacht wird. Damit können angelegte Waldschneisen speziell im Steilgelände langfristig viele negative Auswirkungen auf die Sicherung und Schutzwirkung des Waldbestandes haben. Die Vor- und Nachteile müssen daher gut gegeneinander abgewogen werden.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Maßnahmen, die gesetzt werden können, um Kronenfeuer zu unterbinden – etwa die Entfernung von Brennmaterial oder die Astung von Bäumen (gezieltes Abschneiden tief liegender Äste). In beiden Fällen wird durch die Reduzierung der sogenannten Feuerleitern die Wahrscheinlichkeit für ein Übergreifen der Flammen auf die Baumkronen verhindert. Daneben kann versucht werden, die Vegetation vor der Feuerfront ausreichend zu durchfeuchten. Eine andere Möglichkeit ist die Errichtung von Schneisen durch das linienhafte Fällen von Bäumen. Die bislang aus dem Brandgebiet vorliegenden Fotos zeigen schmale Schneisen (etwa 15m). Um ein Kronenfeuer auf den Boden zu zwingen, benötigt es aber breitere Schneisen, da sie sonst von den Flammen leicht übersprungen werden können.
Im Brandgebiet gab es vereinzelt Bereiche, in denen Gruppen an Schwarzkiefern verbrannt sind, also Kronenfeuer aufgetreten ist, dies jedoch nur im oberen, an das felsige Steilgelände angrenzende Gebiet. Weiter herunten hat es sich um ein reines Bodenfeuer gehandelt. Bodenfeuer lassen sich durch das Fällen von Bäumen allerdings nicht stoppen. Es benötigt eine Bodenverwundung – die Entfernung des brennbaren Bodenmaterials – oder andere Maßnahmen (bspw. Gegenfeuer) um eine Ausbreitung zu verhindern.
Im aktuellen Fall könnten die Schneisen deshalb geschaffen worden sein, um den Einsatzkräften die Brandbekämpfung zu erleichtern. Abrollende, brennende Wurzelstöcke können durch horizontale Schneisen mitunter gestoppt werden, wodurch ein Übergreifen des Brandes auf tiefer liegende Flächen verhindert wird. Außerhalb des Einsatzstabes wurden die möglichen Vor- und Nachteile von Schneisen allerdings nicht kommuniziert.
Ausmaße des Waldbrandes in Hirschwang am 29. Oktober 2021 auf der Südseite des Mittagsteins. Die Flammen breiteten sich als Bodenfeuer sowohl hangaufwärts in den offenen Felswaldbereich, als auch nach Osten im Kiefern-Mischbestand aus | Foto © R. Köck
BRANDAUSBREITUNG
Vor allem am zweiten und dritten Brandtag wurde eine sehr hohe Gefahr des Übergreifens der Flammen auf das Raxgebiet befürchtet – und dementsprechend massive Maßnahmen wie die Sperre einer Bundesstraße und die Aufstellung mehrerer Großlöschtankfahrzeuge veranlasst. Hintergrund war die Tatsache, dass sich das Bodenfeuer in der ersten Brandnacht hangabwärts ins Höllental bewegt hat. Doch stattdessen haben sich die Flammen in den Folgetagen am betroffenen Südhang in östlicher Richtung sowie – ebenfalls am Südhang – Richtung Gipfel ausgebreitet. Rund zehn Hektar dürften sich in diesem Gebiet nach den ersten beiden Tagen noch summiert haben.
Als Alternative hätte man die Brandbekämpfung auf die Südflanke konzentrieren können. Hintergrund: Das Höllental verläuft im betroffenen Gebiet etwa in Nord-Süd-Richtung. Gebrannt hat es am Westhang Richtung Talboden – als Bodenfeuer. Im Tal fließt die Schwarza, die von Laubwaldbeständen und Sträuchern gesäumt wird. Durch den Fluss und die Vegetation entsteht ein feuchteres Mikroklima, die Brandausbreitung wird gehemmt. Zudem sinkt Kaltluft – speziell im Herbst und Winter – zum Talboden ab und sorgt für eine stabile Schichtung und feuerhemmende Wirkung. Daneben hätten die Flammen selbst an der schmalsten Stelle rund fünfzig Meter bis zum nächsten geschlossenen Nadelwaldbestand überwinden müssen; der auf einem, ebenfalls feuchteren, Osthang stockt. Der in den Medien oftmals erwähnte „Düseneffekt“ (der nicht eingetreten ist) erfordert eine gute thermische Durchmischung und hätte zudem eine Nord-Süd-Windrichtung bedeutet, wodurch potenzielle Funken nur schwer vom West- auf den Osthang gelangt wären. Waldbrände haben in Österreich bereits Straßen und Eisenbahnlinien übersprungen – beispielsweise 1994 im Neunkirchner Föhrenwald. Allerdings hat es sich bei diesen Fällen um von Wind angetriebene Kronenfeuer gehandelt.
Ob tatsächlich keine Gefahr des Übergreifens bestanden hat, kann im Nachhinein leichter beurteilt werden, da während des Einsatzes alle möglichen (und unmöglichen) Optionen diskutiert werden. Durch mehr Hintergrundinformationen und unter Einbezug von Experten der Meteorologie und Waldbrandforschung ist in Zukunft eine umfassendere Lagebeurteilung möglich.
Für ein Kronenfeuer stellt eine Forststraße im Wald kaum ein Hindernis dar. Ein Bodenfeuer kann hier jedoch durch die Einsatzkräfte mit relativ geringem Aufwand gehalten werden. Aufnahme vom Waldbrand im Neunkirchner Föhrenwald, Juli 2021 | Foto © Mortimer M. Müller
MASSNAHMEN- UND ENTSCHEIDUNGSFINDUNG
Ohne Zweifel: Die Feuerwehren sind die Experten bei der Brandbekämpfung. In anderen Ländern ist es allerdings längst üblich, dass bei der Lagebesprechung auch Vertreter aus der Meteorologie und der Waldbrandforschung anwesend sind, um ihr Wissen und ihre Erfahrungen beizusteuern.
Es macht einen Unterschied, ob etwa ein Meteorologe auf Basis von Prognosemodellen ein pauschales Urteil über die Wetterverhältnisse abgeben soll, oder ob er die lokalen Gegebenheiten, Windverhältnisse und das Mikroklima vor Ort in die Beurteilung der Lage miteinbeziehen kann. Möglicherweise wäre beim Brand in Hirschwang einem erfahrenen Meteorologen aufgefallen, dass durch die extrem trockene Luftmasse am Tag des Brandausbruchs in Verbindung mit dem vorherrschenden Wind und der Lage des Brandortes auf einem Südhang sowie der betroffenen Vegetation eine rasche, unkontrollierbare Brandausbreitung bis in die Nachtstunden zu befürchten ist; oder dass in den Folgetagen eine Konzentration der Brandbekämpfung auf die östliche Flanke notwendig sein wird.
In Zukunft sollte daher bei größeren Waldbrandereignissen ein interdisziplinäres Expertenteam von Beginn an und vor Ort in die Entscheidungs- und Maßnahmenfindung mit einbezogen werden, um bei außergewöhnlichen Brandentwicklungen Erfahrungen einfließen zu lassen und Hilfestellungen geben zu können.
Kontrolliertes Abbrennen („prescribed burning“) in einem US-Naturschutzgebiet. Hierdurch wird verhindert, dass sich tote Biomasse akkumulieren kann und ein Feuer hoher Intensität bzw. ein Kronenfeuer auftritt | Foto © U.S. Fish and Wildlife Service – Midwest Region / flickr, CC BY 2.0
LET IT BURN!
Wie der aktuelle Waldbrand gezeigt hat, ist es nicht ausreichend, nur in die Ausrüstung zu investieren und sich auf Mannstärken und Luftunterstützung zu verlassen – auch die Anschaffung von Löschflugzeugen ist skeptisch zu sehen. Das Feuer konnte trotz dem massiven Großeinsatz der Feuerwehren (und obwohl es sich „nur“ um ein Bodenfeuer gehandelt hat) tagelang nicht unter Kontrolle gebracht werden.
Vor dem Hintergrund eines intensiveren Waldbrandregimes werden in Zukunft neue Brandbekämpfungstechniken und ‑taktiken notwendig werden. Darunter fallen etwa das gezielte Anlegen von Gegenfeuern, die Entfernung von Brennmaterial oder die Brandbekämpfung mit wenig oder keinem Wasser. Auch das im letzten Beitrag erwähnte kontrollierte Abbrennen als präventive Maßnahmen zur Vermeidung von Großbränden, könnte (oder sollte) ein Thema werden.
Derzeit herrscht in Österreich die Prämisse, dass jeder unkontrollierte Vegetationsbrand und jedes Glutnest gelöscht werden muss, egal, welcher Aufwand hierfür notwendig ist. Dies führt bei Bränden im schwierigen Gelände, wie in Hirschwang der Fall, zu einem enormen Bedarf an Personal, Ausrüstung, Luftunterstützung und damit auch zu hohen Kosten. Diese Kosten können jene für den Schaden am Wald und die erforderlichen Post-fire-Maßnahmen deutlich übersteigen. Auch sind durch die Brandbekämpfung und den massiven Wassereinsatz Schäden bzw. ein Abschwemmen des sensiblen Waldbodens möglich. Wenn in Zukunft mehrere Großbrände gleichzeitig auftreten (ein Szenario, das in Zukunft durch den Klimawandel leider nicht unrealistisch ist), muss kritisch evaluiert werden, wie hoch die Kosten der Brandbekämpfung werden können. In einem solchen Fall mag es erforderlich sein, sich auf Hotspots – beispielsweise am Wildland-Urban-Interface – zu konzentrieren und andere Bereiche sich selbst zu überlassen.
Auch im Naturschutz existiert mitunter der Wunsch, natürlich (durch Blitzschlag) ausgelöste Brände nicht zu löschen, sofern keine Siedlungen oder Infrastrukturen gefährdet sind. Blitzschlagbrände stellen wie Windwürfe oder Muren natürliche Störungen dar und sind damit auch in Österreich Teil der Störungsdynamik des Waldes. Sie können aus naturschutzfachlicher Sicht zu einer höheren Biodiversität, einem heterogeneren Waldbild sowie zu einer Reduktion der brennbaren Biomasse führen.
WIE GEHT ES WEITER?
Vonseiten der Waldbrandforschung werden auch in Zukunft Waldbrände ausführlich dokumentiert und die empirischen Grundlagen für eine verbesserte Abschätzung der Brandentstehung, des Brandverhaltens und für Schadensbeurteilungen geschaffen. In Zusammenarbeit mit den Behörden, Grundeigentümern und Einsatzorganisationen können auf diesem Weg Erkenntnisse für Post-fire-Maßnahmen gewonnen und Empfehlungen für die Zukunft erarbeitet werden.